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“Zur Hölle mit der Linie!” Fotografiken der New School of Wood Engraving (Ausstellung)

“With the new school nothing is theoretically impossible, and no means are illegitimate.” (Frederick Juengling, 1880)

Der Holzstich, eigentlich ein Produkt der englischen Frühromantik, erlebte seinen großen Durchbruch mit dem Aufstieg der illustrierten Presse. Sein phänomenaler Erfolg lag in seiner Hybridität begründet, denn er vereinte die feinmechanische Qualität des Kupferstichs mit dem Vorzug des schnellen und automatisierbaren Hochdruckverfahrens des Holzschnittes. Der Einsatz in der Massenpublizistik hatte schon bald die Entwicklung von maschinellen und arbeitsteiligen Gravurweisen zur Folge; auch wurden Fotografien vielfach für die Erstellung der Druckvorlagen herangezogen. Uniformität und Komplexität, Simplizität und Subtilität lagen im Holzstich dicht beieinander. Solche Ambivalenzen, die noch dazu mit dem Stallgeruch der Massenproduktion behaftet waren, liefen dem essentialistischen Selbstverständnis der hereinbrechenden Moderne allerdings völlig zuwider. Das eigentliche Paradox in der Geschichte des Holzstichs liegt darin, dass seine netzartigen Halbtonwerte, die seine besondere ästhetische Qualität ausmachen, als Vorbild für die Erfindung des Punktrasters dienten, mit dem die Autotypie diese manuellen Technik zur Jahrhundertwende als Reproduktionsmedium ablösen sollte.

Timothy Cole,  The Gillie Boy (nach James E. Kelly), Scribner´s Monthly Magazine, 1877 

Timothy Cole,  The Gillie Boy (nach James E. Kelly), Scribner´s Monthly Magazine, 1877  (Detail)

Frederick Juengling, A tile, in: The Tile Club at Work, Scibner´s Monthly Magazine, 1879

Mit dem Siegeszug der expressionistischen Grafik zu Beginn des 20. Jahrhunderts fiel der Schleier des Vergessens auch über eine Gruppierung prominenter nordamerikanischer Fotoxylografen, die in den 1870er Jahren mit ihrem reproduktionsgrafischen Oberflächenverismus für Furore gesorgt hatten. Mit den so genannten Kelly-Stichen, die 1877 in dem Kulturmagazin Scribner´s Monthly erschienen waren, hatten die jungen Stecher der sich formierenden New School auf radikale Weise mit den linearen Codes der reproduktionsgrafischen Orthodoxie gebrochen. Die Attacken des xylografischen Altmeisters William James Linton auf die seiner Meinung nach gänzlich ausdruckslose und unkünstlerische neue Reproduktionsmethode löste damals eine viel beachtete und lang anhaltende Diskussion in der amerikanischen Presse aus. Diese Debatte, die den Grafikhistoriker William Ivins in den 1940er Jahren zu seinem einflussreichen Werk “Prints and Visual Communication” inspirierte, kann als Ausgang der modernen Kommunikations- und Medientheorie gelten.

William James Linton, The Cornfield. (nach John Constable), 1860 (Detail) 

Timothy Cole, The Cornfield. (nach John Constable), 1902 (Detail) 

Emblem der Socitey of American Wood Engravers (SAWE), 1887

Im Gegensatz zu ihren europäischen Kollegen gelang es den Fotoxylografen der New School den Holzstich als selbstbewusstes künstlerisches Medium zu etablieren. Lange vor Pop-Art verband sich in ihren Arbeiten das Prestige künstlerischer Produktion mit der Indifferenz fotografischer Reproduktion. Ihre signierten Handabzüge auf Japanpapier wurden von führenden Galerien der Zeit vermarktet und in Museen sowie auf Weltausstellungen gezeigt. Exponenten der New School wie der legendäre, früh verstorbene Frederick Juengling aus Leipzig, der Düsseldorfer Gustav Kruell, der Elsässer Henry Wolf und der aus London stammende Timothy Cole waren Stars, die man den befreundeten impressionistischen Malerkollegen gleichberechtigt an die Seite stellte.

In der Ausstellung mit ca. dreißig Exponaten aus dem William James Linton-Archiv des Melton Prior Instituts, Düsseldorf, sind neben Beispielen von fotoxylografischen Auflagendrucken auch eine Reihe handsignierter Probedrucke und Korrekturabzüge zu sehen sowie signierte Abzüge von  Druckplatten, die mit geometrischen Rasterstrukturen entwertet wurden. Sie offenbaren ein erstaunliches Maß an informeller, ergebnisoffener künstlerischer Anschauung. Auch den handsignierten Druckstöcken, von denen etliche Beispiele ausgestellt sind, wurde ein autonomer ästhetischer Wert zugesprochen.

Timothy Cole, The Circumcision  (nach Andrea Mantegna), 1892 (Buchsbaum, rückseitig signiert)

Timothy Cole,  The Circumcision  (nach Andrea Mantegna),  1892 (signierter Handabzug auf Japanpapier) 

Timothy Cole, Portait of Whistler´s Mother (after J. M.Whistler), 1881

Timothy Cole, Portait of Whistler´s Mother (after J. M.Whistler), 1881 (Detail)

Henry Wolf: Portrait of Whistler´s Mother (nach J.M. Whistler), 1905 (Detail) 

Henry Wolf: Portrait of Whistler´s Mother (nach J.M. Whistler), 1905  (Proof print from the destroyed plate, signed) 

Henry Wolf, Henry Mills Alden. 1916 (Korrekturabzug)

Henry Wolf, Henry Mills Alden. 1916 (Korrekturabzug) (Detail)

Henry Wolf, Portrait of Richard Canfield. “His Reverence.” (nach J.M. Whistler), 1906 (Detail)

Henry Wolf, Portrait of Richard Canfield. “His Reverence.” (nach J.M. Whistler), 1906  (Detail)

Henry Wolf, Portrait of Richard Canfield. “His Reverence.” (nach J.M. Whistler), 1906

Henry Wolf, Portrait of Henry Irving, 1900 (Probeabzüge auf Japanpapier)

Henry Wolf, Portrait of Henry Irving, 1900 (Probeabzüge auf Japanpapier) (Detail)

Henry Wolf, Portrait of Henry Irving. 1900 (Proof from the destroyed engraving, signed)

 

Präsentiert wird auch ein zeitgenössisches Werk, die 10 x 10 cm große Miniaturmalerei «..the wood for the trees» des englischen Künstlers Simon Lewis, die zwischen 1998 und 2000 in Dänemark entstanden ist. Die radikale hyper – pointillistische Anschauung, die in der Bildminiatur zum Ausdruck kommt, hat den Aufbau der Holzstichsammlung des Melton Prior Instituts ganz wesentlich inspiriert.

Simon Lewis: «…the wood for the trees», 1998 – 2000, Öl und Gesso auf Buchsbaum

Zur Ausstellung erscheint in der von Thomas Ketelsen herausgegebenen Reihe “Der un/gewisse Blick” ein Katalog. Der Katalog mit dem Titel “Chinesische Methode. Die Fotografik der New School of Wood Engraving” kann ab Ausstellungsbeginn über den Museumsshop bestellt werden.

Wallraf – Richartz Museum, Köln, 14. September 2012 –  6. Januar 2013 (Graphisches Kabinett)

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Die New School im Linton-Archiv (Linkliste)

>   The Linton Archive. On the Formations of Political Art and Wood Engraving / Zur Entwicklungsgeschichte von politischer Kunst und Xylographie

W.J. Linton: Thirty Pictures by deceased British Artists, London 1860

John Jackson, W.A. Chatto: A Treatise on Wood Engraving (with a new chapter on the artists of the present day). London 1838 / 1861

>  John Ruskin: Ariadne Florentina – Six Lectures on Wood and Metal Engraving with an Appendix, 1872.

> Div.: Scribner’s Monthly Magazine Vol. 16, New York 1878

> Div.:The Atlantic Monthly Vol. 43, Boston 1879

>  W.J. Linton : Some practical Hints on Wood Engraving, Boston 1879

> Div.: A Symposium of Wood Engravers. in: Harper’s New Monthly Magazine, February 1880

> Proofs from Scribner’s Monthly and St. Nicholas: A Portfolio of Proof Impressions Selected from Scribner’s Monthly and St. Nicholas., New York 1880

> W.J. Linton: The History of Wood Engraving in America, Boston, 1882

> George Edward Woodberry: A History of Wood – Engraving. New York 1883

> W.J. Linton: Wood- Engraving. A Manual of Instruction, New Haven, 1884

> Carl von Lützow ed.: Der Holzschnitt der Gegenwart in Europa und Nord-Amerika. Vienna 1887

> William M. Laffan ed.:Engravings on Wood by Members of the Society of American Wood-Engravers.
New York 1887

> W.J. Linton:  The Masters of Wood Engraving, Hamden / London, 1889

> William Abercrombie: A Scrapbook on Wood Engraving.Ashton upon Mersey, 1880 – 1899

> Frank Weitenkampf: American Graphic Art, New York 1912

> Henry Wolf: Album, New York, ca. 1880 – 1916

> A.V.S. Anthony, Timothy Cole and Elbridge Kingsley: Wood-Engraving. Three Essays by Three Engravers.
New York 1916

> Paul Westheim: Das Holzschnittbuch. Potsdam 1921

> Alphaeus Cole and Margaret Ward Cole: Timothy Cole. Wood-Engraver.Boston / New York 1935

> William M. Ivins: How Prints Look. Photographs with A Commentary. New York 1943

> William M. Ivins: Prints and Visual Communication. Chicago 1953

> Estelle Jussim: Visual Communication and the Graphic Arts: Photographic Technologies in the Nineteenth Century. New York – London 1974 / 1982

> Gerry Beegan: The Mass Image: A Social History of Photomechanical Reproduction in Victorian London.
Houndsmills / New York 2008

> William H. Brandt: Interpretive Wood-Engraving: The Story of the Society of American Wood-Engravers.
New Castle, Delaware. 2000