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Ziegelsteinbuch – vom Nachleben im eigenen Medium. Winsor McCays Werk in Hannover (Ausstellungsbesprechung von Rolf Bier)

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Als eine weitere von letztlich sechs Stationen ist die von dem Kunsthistoriker und Künstler Alexander Braun im empathischen Alleingang kuratierte Ausstellung über das beachtliche Werk des Zeichners und Pioniers von Comic-Strip und Animationsfilm Winsor McCay (1869 – 1934) nun treffsicher am vielleicht wichtigsten und am besten passenden Ort der Tournee gelandet: im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover (bis 3. Juni 2012, danach noch in Erlangen, Basel, Backnang und Dortmund).

Zu sehen sind nicht nur Originalseiten aus den zahllosen Ausgaben von Zeitungen aus Los Angeles und New York – aus diversen Privatsammlungen zusammengebracht -sondern auch alle erhaltenen, immer noch in ihrer wirkungsvollen, zeichnerischen Ökonomie bestechenden Animationsfilme: hier besonders köstlich „Gertie the Dinosaur,“ ein Klassiker von 1914, der anhand der erzählerisch veranlassten zeichnerischen Revitalisierung des ausgestorbenen Tieres Animation im doppelten Sinne betreibt. McCay hatte es im Laufe seiner Karriere in New York in üppigem Lohn des Verlegers Hurst stehend, zu dessen humanitären Leitartikeln er extravagante Illustrationen lieferte, zu großer Popularität und auch persönlichem Reichtum gebracht.

Winsor McCay, Little Nemo, 1911

Von Insidern der Historie der Bildgeschichte hoch geschätzt, lädt die umfassende Show ein, das ebenso intensive und innovative Werk McCays nun in Gänze kennenzulernen und einem hoffentlich breiten Publikum nahezubringen. Dies darf und muss  lernen, daß es schon weit vor Walt Disney ungeheuer clevere Comic-Kunst gegeben hat. Ganz besonders deutlich wird an den vielen gerahmten Zeitungsseiten, wie McCay seine Bildgeschichten in dieses spezifische, editorisch limitierte Format hineinchoreographierte. Noch mit einigem Abstand lässt sich ein das einzelne Bild der rhythmischen Sequenz überschreitender, gestalterischer Zugriff erkennen. Die gesamte Weltschau, die sich in den legendären Bildgeschichten von „Little Nemo in Slumberland“ oder „Dream of The Rarebit Fiendebenso panoramatisch, global wie kosmisch eröffnet – man findet Reisen über Hochhaus-Dächer  aber auch zum Mond, ebenso wie in das Innere eines Vulkans – ist als Traumsequenz konstruiert, aus der es ein mehr oder weniger böses oder erleichtertes Erwachen gibt. Man merkt, dass die Psychoanalyse überall und nicht nur in Europa in der Luft liegt – Sigmund Freuds Traumdeutung erscheint 1900 in der Erstausgabe. Und daß der Junge in den Folgen von „Little Sammy Sneeze“ (um 1904) immer an passender oder unpassender Stelle niesen muß, um der Handlung eine ganz entscheidende Wendung zu geben, hat sicher auch seine begründete Ursache.

Winsor McCay, Little Nemo, 1911

Besonders scheint dieser Auftritt in Hannover „bei Busch,“ da der Namensgeber des Museums eine ähnliche Kunstaffinität verbürgt wie dieser in seiner Arbeit selbst. Zwar malte Winsor McCay nicht wie der Schöpfer von „Max und Moritz“ in seiner Freizeit impressionistische Landschaften, aber seine Kreationen zeigen einen selbstreflexiven Geist eines Zeichners, der sein Medium nicht nur technisch vollkommen beherrscht, um dessen projektive Kraft souverän zu entfalten. McCay reflektiert und integriert vielmehr die materiale Bedingtheit seiner Arbeit zwischen Zeichnung und Drucklegung in die Plots seiner Bildgeschichten und stößt so zu einer ebenso witzigen wie komplexen Bilderzählung vor, die bis heute schlichtweg bezaubert (was Konzept- und Kontextkunst nun wirklich nicht immer schafft, am wenigsten, wenn sie sich bemüht).

Kurator Alexander Braun sieht vor allem in diesen „Selbstreferentialitäten“, denen er in dem ziegelsteinschweren, wunderbar produzierten und gedruckten Katalog im coffee-table-book-Format ein gewichtiges Kapitel widmet, die weit ausgreifende Relevanz der Arbeit McCays für die Kunstgeschichte. Eine sich so darstellende künstlerische Intelligenz enthebt die Arbeit McCays jeglichen illustrativen Durchschnitts seiner Zeit und macht sie für uns heute noch besonders relevant, jenseits eines Streits zwischen „high“ und „low,“ der für Braun noch nicht versöhnt ist.

Winsor McCay, How a Mosquito Operates, 1912

Für mich drängt sich – allein von der genrebedingten Humor-Struktur her – auf, dem Werk McCays eine ähnliche Leistung und Bedeutung zuzusprechen, wie sie Charlie Chaplin für das aufkeimende Film-Medium in seinen „Tramp“ – Stumm-Filmen erbracht hat. Es ist ein Witz der besonderen Art, dass auch diese äußerst präzise Ausstellung museal wird und steriler als ihr Gegenstand. Ich weiß keine konservatorisch verantwortbare  Alternative – aber man spürt beim ermüdenden Abschreiten der edel gerahmten Exponate, dass es eine immanente Korrelation des Genusses von Erzählung und Kontemplation gibt: einen Roman im Stehen zu lesen, ist eine Tortur. Comics hinter Glas abzuschreiten ist per se eine Barbarei. Sie wollen zurück auf die Seite, die man aufblättert…zurück ins „casuale“ Leben!  Das Printmedium, für das es gemacht war, ist es sinnigerweise, daß das Werk für die Erfahrung von heute rettet. (Insofern hat A. Braun mit der Edierung seines „fetten“ McCay-Ziegelstein-Buchs konsequent gehandelt.)

Rolf Bier , Hannover am 13.3.2012