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“Cetewayo und Dekan Stanley”. Ein Lehrstück von William James Linton. Mit einer Einleitung von Alexander Roob

Lintoniana IV

„Die Geschichte wird von mir reden”  – Zu Lintons kolonialkritischem Dialog

William James Linton hat sich in erster Linie als politischer Künstler begriffen. Im biografischen Anhang zu der Lyrikkompilation English Verse. Lyrics of the 19th Century, die er 1883 zusammen mit dem renommierten Literaturkritiker Richard Henry Stoddard herausgegeben hat, ließ er keinen Zweifel an diesem Selbstverständnis. Als „engraver and political writer“ ist er dort verbucht. Der große Komplex seiner politischen Schriften – sie umfassen einen Zeitraum von ca. 40 Jahren – ist ebenso wie sein xylographisches Werk nach seinem Tod völlig in Vergessenheit geraten. Erst 1956 ist der politische Autor Linton langsam wieder über den Umweg der Sowjetunion in das Bewusstsein der englischsprachigen Literaturforschung eingesickert. Yuri Kovalevs Anthology of Chartist Literature, die ihn als einen der wesentlichen Autoren der frühen Arbeiterliteratur würdigt, ist zwar in Moskau erschienen,1 zielte aber in seiner Sammlung von Originaltexten vor allem auf den englischsprachigen Markt. Die Auswahl von Lintons Lyrik, die Kovalev vornahm, bestimmt die Rezeption seines schriftstellerischen Werks im Grunde bis heute. Sie beschränkte sich auf eine frühe romantische Phase, deren hochfliegende Verse unter dem Einfluss des kommunitaren Bardentums von Percy Bysshe Shelley und des autodidaktischen Corn-Law Rhymer Ebenezer Elliott entstanden.

Auch die überaus fundierte Biografie von Francis Barrymore Smith, die dem radical artisan durch alle möglichen Kapriolen seines Werks folgt, hat an dieser Fokussierung der Forschung auf einen relativ schmalen Abschnitt seines politischen Werks nur wenig zu ändern vermocht.2 Vielmehr hat das Bild, das Smith von Linton entwirft, nämlich das eines von akademischer Geltungssucht befallenen Autodidakten, der konfus in alle möglichen Richtungen ausschlägt, das Bedürfnis, sein Werk zu filetieren und zu schablonisieren wohl nur noch befeuert. Dabei sind es gerade seine volatile Appropriationslust und seine Experimentierfreude, durch die sich Lintons zerklüftetes literarisches Oeuvre wohltuend von dem sehr eingleisigen und fest gefügten Genre der Chartistenliteratur abhebt.3  Der Status eines politschen Künstlers, den er für sich in Anspruch nahm, konnte sich im Übergang von der Hochromantik zu der von ihm inspirierten Kunst der Socialist League und der Fabian Society überhaupt erst durch die große Vielzahl von editorischen und literarischen Versuchen behaupten und ausformulieren, die er unternahm, die von Polemiken und Traktaten in der Art eines John Milton über romantische Hymnik bis hin zu allen möglichen Formen von Satire, anspielungsreicher Nonsensliteratur, politischen Parabeln, wissenschaftsparodistischen Imitationen und Falsifikaten reichten.

Das sehr kurze, aber überaus dicht gewobene Dialogstück Cetewayo and Dean Stanley fügt dem breiten Spektrum von Lintons literarischen Experimenten noch eine weitere bemerkenswerte Facette hinzu. Er publizierte es 1880 in Hamden, Connecticut, in broschierter Form, und wie so viele Erzeugnisse seiner privaten Appledore Press ist es ohne Verfasserangabe erschienen. Obgleich es zu den ganz seltenen Beispielen kolonialkritischer Literatur zählt, die in der frühen Phase des Hochimperialismus entstanden, ist es bislang von der Forschung nicht registriert worden.

Gegenstand des fiktiven Dialogs, der sich in London zwischen Cetshwayo kaMpande, dem kriegsgefangenen König der Zulu4 und Arthur Penrhyn Stanley, dem Dekan von Westminster entspinnt, ist ein bizarrer Zwischenfall, der sich 1879 in der Endphase des Kriegs zwischen der Zulu-Nation und dem Britischen Imperium ereignete: Während eines Patrouillenritts war Louis Napoleon, der bonapartistische Thronfolger, der sich als Freiwilliger der britischen Armee in Cetshwayos Herrschaftsgebiet aufhielt, von Zulukriegern überrascht und exekutiert worden. Nur über die Protektion von Königin Victoria war es dem lorbeerhungrigen Prinzen, der seit dem Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs im britischen Exil gelebt hatte, überhaupt gelungen, in das Kriegsgebiet vorzustoßen.5  Victoria war es auch, die mit ihrem Vorschlag, dem toten Prince Imperial ein Denkmal in der Westminster Abbey zu errichten, die Gemüter der britischen Öffentlichkeit erregte. Man warf ihr und Dekan Stanley, der sie darin unterstützte, vor, ein nationales Sakrileg zu begehen, indem sie ein Mitglied der napoleonischen Dynastie als Fremdkörper unter die traditionelle Begräbnisstätte der britischen Monarchen mischten. Außerdem, so der Spectator vom 26. Juli 1879, würde eine solche öffentliche Ehrung von der amtierenden französischen Regierung zu recht als Affront verstanden werden.

Linton scherte sich in seinem Stück weder um die Empfindlichkeiten einer französischen Republik, die in seinen Augen korrupt war, noch teilte er das xenophobe Ressentiment der englischen Öffentlichkeit. Der demokratische Nationalismus Mazzini´scher Prägung, den er propagierte, verstand sich als ein kosmopolitischer Gegenwurf zum “beengten” Nationalismus des imperialen Wettstreits. Wie stark der Mazzinismus allerdings dann doch mit der chauvinistischen Grundstimmung der Zeit harmonisierte, erweist sich in dem ethischen Imperativ patriotischer Pflichterfüllung, den Linton hier zum vorrangigen Maßstab seiner Beurteilungen machte und den er ganz im Sinne Mazzinis politischer Mystik gegen eine Tyrannei der dynastischen Willkür aufrechnete.

Es ist vor allem die Rolle der christlichen Staatskirche als ein Instrument hegemonialer Machtpolitik, die in dem Stück angegriffen wird. Im Bild der Janusköpfigkeit von Jesus /Josua verheiße sie Frieden nach vorne, um aber hinterrücks die Landnahme Kanaans bzw. die koloniale Unterdrückung und den Genozid zu propagieren.6 Lintons Hauptinteresse gilt allerdings weniger den Ursachen und Auswirkungen der kolonialen Aggression, die hier eher nüchtern als Faktum zur Kenntnis genommen wird, als vielmehr der Konstruktion von Geschichte. Bereits zu Anfang der 1840er Jahren hatte er zusammen mit dem Illustrator Thomas Sibson eine umfangreiche Historie Englands projektiert, “in der das soziale Leben des englischen Volks im Vordergund stehen sollte, und die dementsprechend in Epochen gegliedert, anstatt nach den Regentschaftszeiten von Königen”7  Ein erster Teil dieser geplanten Sozialgeschichte, die sich um die Enstehung von feudalen Besitzverhältnissen dreht, wurde 1845 in dem Gedicht Bob-Thin or the Poor House Fugitive realisiert. Auch in seinem ersten Dialogstück Voices of the Dead, das nur wenige Monate vor dem Cetewayo-Stanley Stück erschienen ist und ein Pendant zu diesem darstellt, geht es um Geschichtskonstruktion. Hier erheben sich die Stimmen von fünf toten Republikaner,8 die verschiedene Phasen revolutionärer Erhebung repräsentieren, um sich gegen die Geschichtsverfälschungen der konservativen Presse und reaktionärer Historiker wie Thomas Carlyle zur Wehr zu setzen.

Während dieses erste Dialogstück einen Blick zurück im Sinn einer historischen Rehabilitation wirft, fängt der vorliegende Text aktuelle Stimmen der zeitgenössischen imperialistischen Epoche ein. Diese zeichnete sich vor allem durch einen explodierenden Denkmalkult aus. Geschichtskonstruierend allerdings scheint diese monumentale Fassade, die Cetewayo und Stanley in London inspizieren, nicht zu sein, denn ihr mangelt es an Kohärenz und damit an identitätsstiftender Kraft. Zukunftsfähig allein, so suggeriert das Stück, kann nur eine Geschichtsperspektive zu sein, die den eurozentrischen Standpunkt relativiert, bzw. umkehrt und die es damit erlaubt, einen afrikanischen Herrscher wie Cetshwayo kaMpande auf der gleichen Augenhöhe wahrzunehmen wie einen Napoleon I.  Was sich hier andeutet ist die Vision einer postkolonialen Geschichtsschreibung. Dass diese nicht nur politisch, sondern auch kulturgeschichtlich zu begreifen ist, machte Linton in seiner 1878 publizierten Anthologie Poetry of America deutlich. Diese endet als Zukunftsausblick nicht etwa mit Gedichten von Walt Whitman sondern in der wohl radikalsten abolitionistischen Konsequenz der Zeit mit den Gesängen von afroamerikanischen Plantagenarbeitern.9

Beide Dialogstücke Voices of the Dead (1879) und Cetewayo and Dean Stanley (1880) waren eine Hommage an den 1864 verstorbenen Dichter Walter Savage Landor. Dessen klassisch geprägtes Werk bildete eine wichtige Nahtstelle zwischen dem offiziellen viktorianischen Literaturbetrieb und dem politischen Radikalismus der Ränder. Mitte der 1820er Jahre hatte Landor sich nach dem Vorbild von Cicero´s Tusculanae Disputationes ein eigenes Genre geschaffen, die Imaginary Conversations, in dem er sich auf Zeitreisen quer durch die Historie begeben konnte und dabei seine republikanische Gesinnung und seine notorische Aversion gegen festgefügte Machtstrukturen ziemlich ungehemmt zum Ausdruck bringen konnte.10 Der Corpus der Imaginary Conversations besteht aus insgesamt 144 Dialogen, die in einem Zeitraum von fast vierzig Jahren entstanden sind. Etliche dieser Gepräche thematisieren Ereignisse der jüngsten Vergangenheit wie z.b. das Gespräch zwischen Thomas Robert Bugeaud, dem französischen General Gouverneur von Algerien und einem namenlosen arabischen Stammesfürsten, das den Genozid der französischen Landnahme an der algerischen Bevölkerung zum Gegenstand hat.11

Der alte Landor war ein großer Fan von Linton´s republikanischen Hymnen, und obgleich sie sich nie persönlich begegnet sind, gab es über Linton´s zweite Frau, die Schriftstellerin Eliza Lynn, die Landors späte Muse war, eine Verbindung zwischen den Beiden. Unter der kritischen Inspektion von Eliza Lynn konnte es sich Linton jedenfalls kaum erlauben, Landor´s Schema einfach zu imitieren. Die Entfernung zwischen Landor´s Imaginary Conversations und Linton´s Adaption ist jedenfalls beträchtlich. Bereits Landor hatte sich in seinen Dialogen einer Technik der Verfremdung bedient, die den Gestus der Reden entgegen den naturalistischen Erwartungen des Publikums stark abstrahiert.12 Linton ging darin allerdings noch einen beträchtlichen Schritt weiter.  Er streifte das raffinierte klassische Idiom, das Landors Prosa auszeichnete, weitgehend ab und bediente sich einer spröden, abgespeckten Sprache. Statt dessen konzentrierte er sich auf das strukturelle Skelett der Dialoge, auf das Exemplarische der Situation. Landor´s frei flottierende Rede wird bei ihm zum scharf komponierten politischen Lehrstück. Bereits 1839 hatte er sich in der zwölfteiligen Reihe Records of the World´s Justice mit einer Form von Parabel beschäftigt, die das loyalistische Propagandainstrument der moralischen Fabel mit neuen radikal- politischen Inhalten füllte.13 Über Landors Imaginary Conversations hatte sich ihm nun ein Weg eröffnet, das politische Lehrstück aus der indirekten Erzählform in die Präsenz des Theatralischen zu überführen.

Bertolt Brecht hat sich mehrfach mit Übersetzungen und Adaptionen politischer Gedichte von Lintons großem Vorbild Shelley beschäftigt.14 Lintons Schriften selbst hat er wohl nicht gekannt. Als Kovalevs bahnbrechende Kompilation in Moskau erschien, ist er verstorben. Ideologisch tut sich zwar eine beträchtliche Kluft zwischen Brechts dialektischem Materialismus und Lintons spirituellem Republikanismus auf, in seinen Techniken und Ambitionen als politischer Autor stand er ihm jedoch so nah wie keinem anderen Autoren des 19. Jahrhunderts.15

Alexander Roob, Oktober 2010

 

Anmerkungen

1 im Foreign Languages Publishing House Moscow

2 F.B. Smith: Radical Artisan – W. J. Linton 1812-97. Manchester 1973

3 Thomas Carlyles Verdikt, Linton sei ein „windiger Charakter“ hat ihm in den Augen seiner Zeitgenossen mehr als alles andere geschadet.

4 Cetshwayo – in der angelsächsischen Literatur der Zeit Cetewayo genannt – befand sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Stücks als Kriegsgefangener des britischen Imperiums in Kapstadt. Erst 1882 wurde er dann tatsächlich unter großer medialer Anteilnahme der Londoner Öffentlichkeit präsentiert.

5 Linton hat nicht nur den Tod des Prince Imperial literarisch quittiert, sondern bereits dessen Taufe mit einer bissigen Parodie auf die Weihnachtslegende kommentiert („Carmen Triumphale. For the General Rejoicing ordered on May 29, 1856.”) Diese fand während der Pariser Friedensverhandlungen statt, die den Krimkrieg beendeten.

6 Als anti-imperialistischer Aktivist war Linton in den 1870er Jahren in Nordamerika, wo er seit 1866 lebte, überaus aktiv. Er mischte sich in die Santo Domingo-Affäre ein und attackierte Präsident Grant wegen seiner Annexionspläne, die das Selbstbestimmungsrecht der lateinamerikanischen Völker mißachtete. Während der Sioux-Kriege trat er in Gedichten und Zeitungsartikeln für die Rechte der nordamerikanischen Ureinwohner ein: „God send the Indian luck! Success to the buck! May his scalps be many and quick!..“

7 W.J. Linton: Threescore and Ten Years. New York 1894.  S. 68

8 Jean Paul Marat, Charlotte Corday, Margaret Fuller, Guiseppe Mazzini und Charles Delescluze

9 W.J. Linton ed.: Poetry of America. Selections from One Hundred American Poets from 1776 to 1876. With an introductory review of Colonial Poetry, and Some Specimens of Negro Melody. London / New York 1878

10 Nietzsche hielt Landor neben Ralph Waldo Emerson für den einzigen zeitgenössischen Meister der Prosa im angelsächsischen Sprachraum. Populär waren seine Schriften nie; mittlerweile sind sie vergessen.

11 in: The Works of Walter Savage Landor. Vol. II. London 1853 S., 242 ff.

12 „Principles and ideas are my objects: they must be reflected from high and low, but they must also be exhibited where people can see them best, and are most inclined to look at them“ Landor über die Technik der Imaginary Conversations. In: The Works of Walter Savage Landor. Vol. I. London 1852, S.  326

13 Horst Roeßler hat dieser Lehrstückreihe, die Linton 1839 in seinem Journal The National. A Library for the People publizierte, eine eingehende Untersuchung gewidmet. (H. Roeßler: Literatur und Arbeiterbewegung. Studien zur Literaturkritik und frühen Prosa des Chartismus. Frankfurt/M, 1985)

14 Shelley´s immenser Einfluß auf die frühsozialistische englische Arbeiterdichtung war bekannt durch die Informationen, die Friedrich Engels in seiner Untersuchung Die Lage der arbeitenden Klasse in England gibt. Brecht übersetzte 1938 Shelleys populäres Peterloo-Gedicht The Mask of Anarchy, 1947 adaptierte er es in einer Satire auf die politischen Verhältnisse der frühen westdeutschen Nachkriegsdemokratie Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy. Über Walter Benjamin´s Passagenwerk hat sich auch ein Übersetzungsversuch Brecht´s von Shelley´s Peter Bell the Third überliefert.

15 Näher noch als der wenig jüngere, früh verstorbene Dramatiker Georg Büchner.  – Eine besondere Nähe zu Brecht offenbart sich auch in Lintons politischen Gedichtzyklen Rythmes and Reasons against Landlordism (1849/1867) und Broadway Ballads (1876). Rythmes and Reasons wurde zur Zeit des “Großen Hungers” in Irland abgefasst und argumentiert in einer langen und komplexen Abfolge von Einzelszenen für die Abschaffung von Grundbesitz. Broadway Ballads wurde anlässlich der Jubiläumsfeiern der amerikanischen Unabhängigkeit publiziert und besteht aus einer Serie von ätzenden literarischen Skizzen, die das menschliche Elend der Massenarbeitslosigkeit und den Verfall von Solidarität in der plutokratischen Metropole New York zum Gegenstand haben. Der Sozialrealismus, der hier, inspiriert von Polizeiberichten und eigenen Beobachtungen zur Sprache kommt, ist weit entfernt von der unterhaltsamen Theatralik eines Charles Dickens. Er ist eher abstrakt auf die Analyse politischer Zusammenhänge aus, oft sperrig und verknappt und immer herausfordernd im Brecht´schen Sinn

8 Seiten, ungeschnitten (Mepri-Collection)

 

Cetewayo und Dekan Stanley

Was des Kaisers ist

Es ist schicklich und es gehört sich, dass gebührende Ehrerbietungen gezollt werden, ..
Ungebührende verletzen … Keine Asche ist heller wie die von
Weihrauch; und kaum was verbrennt schneller.

Wer sein Land wirklich liebt, sollte verschont bleiben von
der Pein der Verlegenheit, die einen ereilt, wenn ein Fremder wissen will – „Wen
stellt denn dieses Denkmal dar? Und um welches Verdienstes wegen ward es errichtet?“

Walter Savage Landor

Cetewayo:
Sie sind sehr freundlich zu mir, Herr Dekan! Ich hatte nicht erwartet, dass es mir, einem entthronten Prinzen und Sohn von Einem, den Sie in aller Höflichkeit  einen ungehobelten Wilden nennnen würden, gestattet sei, eure ehrwürdige Abtei zu betreten, von der, wie ich hörte, Sie der nicht verantwortliche Meister sind. 1

Dekan Stanley:
Gefallene Prinzen, Ihre Ex-Majestät, nehmen wir immer zuvorkommend und mit offenen Armen auf. 2

Cetewayo:
Ihr seid ein wundervolles Volk! Ich bin ganz stolz, von Euch erobert worden zu sein. Dieses West-Münster – ist das nicht das Hauptheiligtum eurer Religion, gewidmet dem  – wie soll ich sagen – Prinzen des Friedens?  Ist das nicht die Bedeutung des Wortes Jesus?

Dekan Stanley:
Eure Ex-Majestät haben Recht was das Münster betrifft; der Name Jesus jedoch meint im Hebräischen das Gleiche wie Josua. In der Lektüre von Eurer Ex-Majestät, – ich hatte ja das Vergnügen bei der Bekehrung Eurer Hohheit behilflich zu sein -, solltet ihr dem Namen Josua eigentlich begegnet sein.

Cetewayo:
War der nicht eine Art Häuptling? Ich erinnere mich: kein Mann des Friedens, aber ein starker Mann, der gegen die Kanaaniter gekämpft hat wie ihr Engländer, es schmerzt mich das zu sagen, gegen mein Volk gekämpft habt. Die Sonne wollte nicht still steh´n um mir zu helfen. 3

Dekan Stanley:
Wie auch immer, Ihre Ex-Majestät haben ganz richtig beobachtet, dass dieses ehrwürdige Gotteshaus der Haupttempel unserer Religion ist.

Cetewayo:
Ich sehe nicht, dass hier Zeremonien stattfinden.

Dekan Stanley:
Unsere Anbetung findet nicht ununterbrochen statt. Wir haben vereinbarte Zeiten dafür. Jeden Tag des Herrn, – das ist der erste Tag der Woche, der uns geboten ist, heilig zu halten – finden Gottesdienste statt. An anderen Tagen ebenfalls.

Cetewayo:
Entschuldigt mich bitte! Seid nicht ihr Priester (oder gehen ich falsch in der Annahme dass ein Dekan ein Priester ist?) extra dazu bestimmt, und werdet dafür gefüttert und eingekleidet, um solche Gottesdienste zu verrichten? Was macht ihr wenn ihr keinen Dienst im Tempel tut?  Ich bitte um Verzeihung! Die Frage ist unzivilisiert. Ihr verbringt viele Stunden, will sagen Tage damit, arme Heiden wie mich zu bekehren. Dann gibt es heute wohl keinen Gottesdienst?

Dekan Stanley:
Eure Hoheit ist gut informiert. Ich bin so frei Eure Schritte zu begleiten: Hier entlang (verbeugt sich)! Ihr wollt sicher unsere Monumente sehen.

Cetewayo:
Monumente? Ich dachte, es gibt nur eines – dort an der London Bridge.

Dekan Stanley:
Das ist The Monument.  Da gibt es auch noch die Nelson Säule (auch eine Art Monument, nicht unähnlich einem Mast) auf dem Trafalgar Square.

Cetewayo:
Wozu gibt es Monumente?

Dekan Stanley:
Um einzigartige edle und heldenhafte Taten ins Gedächtnis zu rufen. Nelson war ein Held. Er starb für sein Land.

Cetewayo:
(beiseite) Ich wäre auch für meins gestorben. – Das war wohl auch ein Held, dessen Monument ich an den Stufen gesehen habe die zu eurem St. James Park führen? Er muss ein großer Held gewesen sein, um eine so hohe Säule verdient zu haben.

Dekan Stanley:
Gottlose Zeitgenossen sagen, er sei so hoch hinaufgesetzt worden, um seinen Gläubigern zu entkommen. Ein Scherz! Er war der Sohn eines unserer Könige. 4

Cetewayo:
Die Söhne von Königen sollten immer Helden sein. Aber warum  sind so viele euerer Monumente draußen anstatt drinnen in euren Tempeln?

Dekan Stanley:
Schwer zu sagen, außer dass wir vielleicht der Meinung sind, dass sie unsere Straßen schmücken, und unseren öffentlichen Plätzen mehr Schönheit und Würde verleihen. Die in der Abtei haben Eure Ex-Majestät noch gar nicht gesehen. Wollt ihr sie nicht besichtigen?

Cetewayo:
Ich werde euch folgen, Herr Dekan! – Ihr müsst ganz stolz sein über eine solche Sammlung. Bitte sagt mir, wer Shakespeare war.

Dekan Stanley:
Shakespeare war der größte aller bedeutendsten Dichter der Welt.

Cetewayo:
Dichter sind aber doch keine Helden.

Dekan Stanley:
Manchmal bedeutender, wenn sie sich um das Gemeinwohl verdient machen.

Cetewayo:
In Ordnung! Aber ich möchte euren Nelson hier sehen. Und den Grafen – Wellington, er war ein Held. Wo ist er?

Dekan Stanley:
Nelson liegt unter der Kathedrale von St. Paul´s: ein weiterer unserer nationalen Tempel. Auch Wellington hat dort ein sehr prächtiges Monument.

Cetewayo:
Aber welche Auswahlprinzipien habt ihr? Warum einige hier und andere dort?

Dekan Stanley:
Bloßer Zufall. Wir wollen niemanden bevorzugen. Unsere Könige und Königinnen liegen hier begraben.

Cetewayo:
Wessen Denkmal ist das hier? Ganz frisch, wie es scheint.

Dekan Stanley:
Ja! Es wurde gerade aufgestellt. Aber (geht vorüber) schaut Euch lieber dies andere hier an!


Cetewayo:
Nein, nein! Schauen Sie das! Ich mag dieses Neue, so makellos. Welch ein schöner Junge! War er ein König, oder ein Held?

Dekan Stanley:
Das ist der Prince Imperial.

Cetewayo:
Ein öffentlicher Wohltäter? Ich kann mich nicht erinnern seinen Namen in euren Geschichtsbüchern gelesen zu haben.

Dekan Stanley:
Er war der kaiserliche Prinz von Frankreich.

Cetewayo:
Was hat er gemacht?

Dekan Stanley:
Er starb sehr tapfer. Ihn hat das Mißgeschick ereilt, in Eurer Hoheit Heimat getötet worden zu sein.

Cetewayo:
Ich erinnere mich jetzt: einige meiner Zulus haben ihn getötet. Was hatte er da verloren? Da war aber nichts Heldenhaftes in seinem Tod. Jeder andere wäre genauso gestorben, wie er – notwendigerweise.

Dekan Stanley:
All unsere Berichte stimmen darin überein, dass er seinem Schicksal entgegen getreten ist wie ein Held.

Cetewayo:
Wer will das wissen? Keiner eurer Leute war zugegen als er starb; und kein Zulu hat euch je davon erzählt. Hattet ihr denn keine englische Helden, die dort gestorben sind, die ihr in einem Denkmal verehren könnt, dass ihr diesen fremden Jungen aussuchen musstet? Meine Leute haben ihm eine ganz rechte Behandlung zuteil werden lassen. Was hatte er da zu schaffen?


Dekan Stanley:

Die Tatsache, dass er ein Fremder war, der, wie Ihr sagtet, dort nichts zu schaffen hatte, verdient umso mehr unsere Anerkennung und Ehrerbietung: ein Freiwilliger, der er war, hat er dem gastfreundlichen Land, in dem er gelebt hat, seine Hilfe gewährt.


Cetewayo:

Kann ich nicht sehen. Soldatenehre – dabei eine Auseinandersetzung, die ihn überhaupt nicht betrifft. Ich kann euren Engländern vergeben: Sie mussten tun, wie ihnen befohlen war, genauso wie meine Soldaten. Aber dieser fremde Freiwillige, tötet Zulus zu seinem Privatvergnügen. – Und ihr steckt ihn in euer Heiligtum, das Josua geweiht ist. Ihr müsst andere Gründe haben. Er kam wohl aus einer sehr achtbaren Familie (Drücke ich mich richtig aus? Meine Kenntnis eurer Sprache ist sehr lückenhaft), und um derentwillen ehrt ihr ihn?

Dekan Stanley:
Sein Vater war der ehemalige Kaiser von Frankreich, Napoleon der Zweite; sein (so genannter) Großonkel war der erste Napoleon, den einige als bedeutender erachten wie den Zweiten. 5

Cetewayo:
Ich weiß: Er war ein großer Krieger, wie Josua. Starb er zu weit entfernt um mit einem Denkmal in eurem Tempel bedacht werden zu können?

Dekan Stanley:
Nicht so weit weg wie dieser junge Prinz.

Cetewayo:
Und habt ihr kein Denkmal für seinen achtbaren Vater? Ich habe gehört, dass man ihn Dezember den Zweiten nennt, genauso wie Napoleon den Zweiten. Wie kommt das?  6

Dekan Stanley:
Eure Hohheit, ich sehe, ihr habt Euch mit der Geschichte befasst.

Cetewayo:
Die Geschichte wird von mir sprechen. Ein Held mag besiegt werden. Ich kämpfte für mein Land. ——- Aber steckt mich nicht in eure Abtei, Herr Dekan! zusammen mit diesem Jungen, diesem einzigen Sohn eines achtbaren Herrschers!

 

Anmerkungen

1 Oberhaupt der Kirche von England ist der britische Monarch, Queen Victoria in diesem Fall.
2  England war seit den Tagen der ersten französischen Revolution zum Hauptrefugium des kontinentalen Adels und flüchtiger Monarchen geworden.
3  Josua 10:12: „Da redete Josua mit dem Herrn des Tages, da der Herr die Amoriter übergab vor den Kindern Israel, und sprach vor gegenwärtigem Israel: Sonne, stehe still zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon!“
4  Eine Anspielung auf die Bronzestatue von Prinz Friedrich August, Herzog von York (1763-1827). Der zweite Sohn von König Georg III hinterließ einen riesigen Schuldenberg.
5  Linton verwechselt nicht Napoleon III, den Vater des Prince Imperial, mit dem Herzog von Reichstadt, der als Napoleon II in die Geschichte eingegangen ist, sondern er bevorzugt hier offensichtlich seine eigene Zählung nach wirklichem Verdienst vor der offiziell Dynastischen.
6  Bezieht sich auf die Daten der Krönungszeremonien der beiden Napoleon, die an einem zweiten Dezember statt fanden.

(Übersetzung und Anmerkungen: Alexander Roob)

 

Abbildungen zu “Cetewayo and Dean Stanley” aus den Sammlungsbeständen des MePri

Das begleitende Pictorial vom Okober 2010 zeigt ebenfalls Ereignisse des Zulu – Kriegs, die dem Stück zu Grunde liegen. Es ist davon auszugehen, daß Linton etliche dieser Darstellungen kannte.

 

King Cetewayo, Le Monde Illustré, 19.07.1879 (MePri – Coll.)

Gustav Kruell: Dean Stanley (MePri – Coll.)

The Captivity of Cetewayo, ILN  18.10.1879 (MePri – Coll.)

Cetewayo Civilized, Graphic  01.03.1879  (MePri – Coll.)

The Prince Imperial, L´Illustration 28.06.1879  (MePri – Coll.)

Edmond Morin: The Death of the Prince Imperial, Le Monde Illustré  19.07.1879 (Detail) (MePri – Coll.)

Melton Prior, The spot, where the Prince was killed, ILN  26. 06.1879  (MePri – Coll.)

Major Marter, Memorial Stone on spot,  27.09.1879  (MePri – Coll.)

Westminster Abbey, ILN 12.5.1868  (MePri – Coll.)

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