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Bernard Buffet – Terrain Vague – Dangerous terrain

Bernard Buffet, 34, Elendsmaler im Rolls-Royce, dessen in die Länge gezogenen Figuren von französischen Kunsthändlern nicht mehr nach der Bestsellerliste honoriert werden, malte für die Halbstarkenballade “Terrain Vague” des Film-Altmeisters Marcel Carné ein zwanzig Quadratmeter großes Kinoplakat. Der Fassadenblickfang zeigt einen Blue-Jeans-Träger, der dem jungen Bernard Buffet ähnelt, in einem stilisierten Elendsviertel.

(Der Spiegel, 30. Nov. 1960)

Die Sorte von Popularität, die in den frühen fünfziger Jahren über den jungen Maler Bernard Buffet hereinbrach, kennt, was ihre Intensität und ihre gesellschaftliche Breitenwirkung anbelangt, in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts keinen Vergleich. Buffets Kunst war, wie der Schriftsteller Maurice Druon noch Mitte der sechziger Jahre schreiben konnte, „auf der Straße“. (1) Sie war auf den Titelblättern der Illustrierten, auf Plattencover, Postkarten, Briefmarken, Wandtellern, auf Hosenträgern, Geschenkpapieren und Plastiktüten. Veranstaltungsplakate, die von ihm gestaltet waren, mussten mit Gittern vor dem Zugriff begieriger Fans geschützt werden, in seinen Ausstellungen drängten sich, wie es in einer zeitgenössischen Kritik von 1957 heißt, „die Besucher wie bei einem Boxkampf um die Weltmeisterschaft oder beim Besuch der englischen Königin“. Die Kunst der Moderne und Nachmoderne kannte tatsächlich nur einen wirklichen Popstar, und der hieß weder Picasso noch Dalí noch Warhol, sondern er hieß Bernard Buffet. Das Erscheinungsbild einer ganzen Dekade war untrennbar verbunden mit dem trostlosen Antlitz seiner Figuren und dem elektrischen Stachel seiner Signatur.

Der bemerkenswerten Leistung, eine solch raumgreifende und exponierte Position fast vollständig aus der Kunstgeschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts getilgt und das Gedächtnis an seine Kunst nahezu ausgelöscht zu haben, kann sich eine ganze Generation von Kritikern, Künstlerkollegen und Kuratoren rühmen. Seine Bilder wurden aus den Schauräumen der Museen in die Keller verbannt, und obgleich der Konsens darüber langsam ins Bröckeln gerät, gilt noch immer im Großen und Ganzen: „Welches Museum möchte heute noch an seine Buffets erinnert werden?“ (2)

Nicht minder bemerkenswert war die robuste Widerständigkeit des Betriebssystems Buffet, bestehend aus einer exklusiven und dauerhaften Arbeitsgemeinschaft des Künstlers mit seinem Galeristen Maurice Garnier. Als bei Buffets Ableben im Oktober 1999 sein Name zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder durch die Medien rauschte, rieben sich viele verwundert die Augen über die Tatsache, dass der schon längst tot geglaubte Künstler überhaupt so lange überlebt hatte unter der Lawine kollektiver Schelte und Verachtung.

Die Verwunderung wächst, wenn man sich das riesige Ausmaß des Werks zu vergegenwärtigen beginnt, das der tabuisierte Maler allnächtens im Zustand seiner jahrzehntelangen Reklusion zusammengemalt und -radiert hat. Nichts weniger als die ganze Welt hatte sich motivisch im verspannten Netz seines Linienwerks verfangen. Das ewig wiederholte Verdikt, dass es sich bei Buffets Malerei um „schlechte Qualität“ handele, um routinierten Kitsch, lässt sich im Augenschein seiner Werke nicht verifizieren. Selbst den beiläufigeren Exemplaren seiner immensen Produktion eignet noch eine physische Präsenz, die sich in ihrer Intensität unmittelbar auf den Betrachter überträgt. Und sie wirken heute, vielleicht auch verstärkt durch ihren jahrzehntelangen Ausschluss aus dem Kunstbetrieb, spannungsreicher und aktueller als viele Werke der klassischen Moderne, gegen die sie ausgespielt wurden. Einer Generation von Kunstbetrachtern, die nicht länger mit dem angelernten Reflex eines Buffet-Bashing aufgewachsen ist, nahe zu bringen, wie es zu dieser heftigen und in seiner Nachhaltigkeit beispiellosen Reaktion gegen das Werk dieses Künstlers kommen konnte, fällt nicht leicht.

Was führte in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zum Sturz Buffets aus dem Zenit in den Nadir, und warum wurde sein Werk in den achtziger Jahren im Zuge des Revivals expressiv-figurativer Malerei nicht wenigstens registriert, geschweige denn rehabilitiert? Welche Tabus hatte er gebrochen und zwischen welche Stühle musste er sich setzen, um zum Paria der Kunst des 20. Jahrhunderts zu werden?

La Misère

Buffet war einundzwanzig, als er den internationalen Durchbruch schaffte. Der Fall eines jungen Malers, der über Nacht zum Millionär wird, wurde in den moralinsauren Nachkriegsjahren als Faszinosum und Provokation zugleich bewertet. Das Phänomen seines kometenhaften Aufstiegs paralysierte die Kritik von Anfang an und liegt bis heute wie ein Schatten über der Rezeption seines Werks. Wie kaum ein anderer bildender Künstler hatte er mit Malereien den Nerv der Zeit getroffen, die das Phänomen Zeit in einer extrem verdichteten und beängstigenden Form repräsentieren: als Erstarrung und Lähmung. Und gleichzeitig stand er, betrachtet man die Problematik seines Gesamtwerks in großen Zügen, ständig als ein entweder viel zu früh Gestarteter oder ein viel zu spät Gekommener völlig verquer zu ihr. Die Spannung, die sein Werk beinhaltet, und die Provokation, die es bedeutete, resultieren nicht unwesentlich aus dieser Asynchronizität.

Versucht man sich einen Überblick über den Zustand deutscher Malerei der Nachkriegsjahre zu verschafften, indem man beispielsweise Gruppenkataloge der Großen Münchener und der Freien Berliner Kunstausstellungen durchgeht, dann fällt auf, wie sich in den frühen fünfziger Jahren ziemlich abrupt ein moderner, jazziger Ton in die dumpfe und düstere spätexpressionistische und nachsurrealistische Orchestrierung gegenständlicher Positionen einzumischen beginnt. Der durchdringende Einfluss Buffets wirkte wie eine Blutauffrischung in einem hauptsächlich von Max Beckmann, Karl Hofer, Marc Zimmermann und Franz Radziwill dominierten Malereisegment – alle Künstler, die im Durchschnitt ein halbes Jahrhundert älter waren als er.

Als Buffet sich Anfang der fünfziger Jahre mit sicherer Hand daran machte, ein ganzes Zeitalter zu ikonisieren, steckte die Kunst von Altersgenossen wie Andy Warhol, Yves Klein, Claes Oldenburg und Erró noch in den Kinderschuhen. Zehn Jahre später, als Pop Art und Nouveau Réalisme im Aufstieg waren, befand sich der Stern von Buffet bereits im freien Fall. Die Schnittmengen, die es zwischen seiner Kunst und den Intentionen der neuen Avantgarden gab, wurden nicht wahrgenommen, denn sein Name war mittlerweile untrennbar verbunden mit einer Malereikultur, die es unbedingt loszuwerden galt. Nichts schien den Niedergang dieser verblichenen Tradition, als deren letzter Kronprinz Buffet von seinen Anhängern gehandelt wurde, besser zu symbolisieren als der traurige Zustand, im dem sich Paris, die Geburtsstätte der Avantgarden und der modernen Populärkultur, mittlerweile befand.  Montmartre war zu Beginn der fünfziger Jahre endgültig zur billigen Touristenattraktion verkommen und in den sechziger Jahren vor allem für Pariser Intellektuelle synonym mit dem Ort des Bösen schlechthin geworden; allein schon seine Erwähnung war untrennbar verbunden mit dem schmerzhaften Verlust kultureller Hegemonie an New York, den es mit ganz neuen künstlerischen Konzepten wettzumachen galt. Und die Straßenmaler auf dem Montmartre belieferten die Touristen schon längst nicht mehr alleine mit abgeschmackten Verschnitten impressionistischer Malereien à la Maurice Utrillo, sondern auch immer mehr mit Postkartenmotiven im Stile Buffets.

Während der Durchbruch der Pop Art, der 1964 mit der Vergabe des Großen Preises der Biennale di Venezia an Robert Rauschenberg markiert war, als endgültiger Sieg amerikanischer Kunst propagiert wurde, nahm man die Populärkunst Buffets immer mehr als Inbegriff der französischen Niederlage wahr. „Miserabilismus“, das Schlagwort, mit dem die Kritik seine Kunst versehen hatte, schien auch wie geschaffen, den Katzenjammer darüber zu illustrieren.

Ursprünglich war damit eigentlich eine gegenständliche Formation innerhalb einer von abstrakten Tendenzen dominierten Malereilandschaft gemeint, die sich auf die Darstellung des Elends der frühen Nachkriegsjahre konzentriert hatte. Mit der steilen Karriere ihres prägnantesten Vertreters kam der Begriff jedoch schnell in eine pejorative Verwendung als eine Art modische und schablonenhafte Karikaturversion existentialistischer Befindlichkeit, als eine leicht verdauliche Kunst der Marke „Rheumadecke“.(4)

Dabei war Buffets Malerei alles andere als leichte Kost, als sie 1947 in ein von Innerlichkeit und Resignation geprägtes Kunstklima einbrach. Ihr schriller und konfrontativer Grundzug wurde als „grausam“, als „roh“ und „gewalttätig“ empfunden.(5)  Die Resonanz, die seine Bilder erfuhren, stand völlig im Einklang mit der ästhetischen Anschauung ihres Urhebers, der sein Ideal von Kunst, so das Fazit der wenigen Kommentare, die er von sich gegeben hatte, in einer Schockierung und Verstörung sah.(6)  In der gebremsten Aggressivität, die in seinem Werk selbst noch in den domestizierten und routinierten Phasen zum Ausdruck kommt, lag ein Wesensmerkmal, das der Kunst der Zeit völlig fremd war. Die Kluft, die sich beispielsweise zwischen der schroffen Prosa von Buffets Homme au cabinet von 1947 und der sakralen Lyrik der von Giacometti im gleichen Jahr entwickelten stehenden und schreitenden Figuren auftut, könnte man sich größer nicht vorstellen. Eine rein formale Übereinstimmung in der gotisch aufgeschossenen Figuration erklärt sich aus der Tatsache, dass beide Künstler den gleichen Bezugspunkt hatten, nämlich den früh verstorbenen Maler Francis Gruber.

Alberto Giacometti, Große Stehende, Bronze, 1947

Bernard Buffet, Homme au cabinet, Öl auf Leinwand, 1947

Gruber nimmt mit seiner zwischen Spätsurrealismus, sozialistischem Realismus und frühexistentialistischer Figuration pendelnden Kunst eine im Kanon der französischen Nachkriegsmalerei nur schwer zu greifende Sonderstellung ein. Mit Giacometti war er nach dessen Ausschluss aus der surrealistischen Gruppe von 1935 an bis zu dessen Flucht aus dem besetzten Paris im Jahr 1942 eng befreundet. Der gebürtige Lothringer Gruber berief sich in der Entwicklung seines raumgreifenden spindeligen Menschenbildes, das auch auf Giacometti nicht ohne Einfluss geblieben ist, auf das Vorbild von Grünewalds Isenheimer Altar. Mit Giacometti teilte er außerdem eine besondere Vorliebe für die Grafiken von Jacques Callot, dem Urvater der grotesken Linienzeichnung, in dessen bizarrer, von Elend und Kriegsgreuel durchzogenen Bildwelt Giacometti „einen grenzenlosen Selbstvernichtungstrieb“ am Werk sah und eine „große gähnende Leere, in welcher die Personen herumfuchteln“. (7)

Francis Gruber, Nu au tricot rouge, 1944

Bernard Buffet, Homme nu dans chambre, 1948

Die Wortschöpfung „Miserabilismus“ war von der Kritik ursprünglich auf die Charakterisierung der Gemälde von Francis Gruber gemünzt. Für ein Verständnis der Kunst von Buffet ist es nicht unerheblich sich zu vergegenwärtigen, dass der Begriff, der ihm Zeit seines Lebens wie ein Schimpfwort anhing, damit also auf eine Tradition rekurrierte, die in einer spezifisch französischen Engführung von Elendsdarstellung und Groteske besteht, von Sozialrealismus und Karikatur. Künstler wie Théodore Gericault, Paul Gavarni, Honoré Daumier, Gustave Doré und nicht zuletzt auch Giacometti selbst sind in dieser von Callot ausgehenden genealogischen Linie zu sehen.

Der neue „Miserabilismus“ der Nachkriegsjahre bezog sich jedoch im Gegensatz zu dem historischen „Miserabilismus“ weniger auf die Darstellung eines äußeren Elends. In der stummen Melancholie des tragischen weißen Clowns, der in Marcel Carnés Les enfants du paradis die Hauptrolle spielte, konnte sich die Pariser Bevölkerung im Jahr nach der Befreiung kollektiv wieder finden. Ebenso in der Niedergeschlagenheit der Hiob-Darstellung von Gruber, die 1945 auf der ersten Salonausstellung der Nachkriegszeit die große Publikumsattraktion war.

Für jüngere Künstler, die im figurativen Bereich arbeiteten, hatte Gruber, der einer der wenigen Pariser Künstler war, die während der Okkupation widerständige Motive gemalt hatten und die sich damit einer konkreten Gefährdung ausgesetzt hatten, ein zentrale Vorbildfunktion. Mit seinem frühen Tuberkulosetod im Jahr 1948 – es war das Jahr von Buffets erstem Ausstellungserfolg – war Grubers Nimbus ins nahezu Mythische entrückt. Buffets Malerei verdankt dem Vorbild des vierzehn Jahre älteren Künstlers ohne Zweifel einiges: vor allem die skelettartigen Gliederungen der Kompositionen und die nervöse Anspannung im Bildbau. Auch die isolierte Sonderstellung, die Buffets Kunst immer im Umfeld französischer Malerei eingenommen hatte und ihre Verwandtschaft zu deutschen Spielarten des Expressionismus wurde früh mit ihrer spezifischen Nähe zur Malerei Grubers in Verbindung gebracht. „Die Kunst Buffets“, so wurde gefolgert,, sei „dem romanischen Maltalent im Grunde wesensfremd.“ (8)
Die Identifikation mit dem Verstorbenen ging sogar soweit, dass der ausgezehrte Jungkünstler selbst und auch seine Umgebung sich sicher waren, er werde Gruber demnächst als zweiter tödlicher Schwindsuchtfall ins Grab folgen.

Doch bereits in Buffets frühsten Ausstellungsbildern zeigte sich auch eine ganz fundamentale Differenz zur Kunst Grubers, die eine wesentlich introvertiertere, in ihren Verspannungen weniger expansive ist. Im Gegensatz zu dem subjektivistischen Ansatz der Malereien Grubers und auch der seines Freundes Giacometti ist Buffets Bildkonzeption nicht auf einen Blicksog ausgerichtet und damit auch nicht auf eine phänomenologische Verwesentlichung von Erscheinung aus. Die „Suche nach dem Absoluten“,(9)  die Sartre im Werk von Giacometti am Wirken sah, war nie das Projekt Buffets. Seine Kunst war im Grunde antiexistentialistisch auf die egalitäre Behandlung des Bildraums in der Fläche aus. Wie eine Kette aus gleichberechtigten Gliedern reiht sich in seinen Bildern die Welt der Dinge auf. In dieser spröden Auffassung steht er dem aufkommenden Inventarstil des Nouveau Roman und den Filmen des Neorealismus viel näher als den hybriden Sinnsuchern des Quartier Latin.

Plattenbau

Das Vorbild Gruber, auf das sich die zeitgenössische Kritik in der Rezeption von Buffets Malerei vor allem konzentriert hatte, war tatsächlich eher an der Oberfläche virulent, in der Motivik. Buffets Werk war zwar seismografisch mit den Strömungen und den Befindlichkeiten der Gegenwart verbunden, es transportierte aber auch in einer Zeit, die künstlerisch der Utopie Zero, des absoluten Neuanfangs anhing, wie einen gigantischen Speicher das Bildgedächtnis der französischen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts. Die zentrale Gestalt dieses Reservoirs war ein Künstler, dessen bäuerisches und berserkerhaftes Wesen ihm völlig fremd sein musste, für dessen Malerei er aber trotzdem eine „Idolatrie“ hegte: Gustave Courbet. Buffets Verständnis von Malerei und auch sein Selbstbild als Künstler waren ganz wesentlich von Courbet geprägt. Dieser war, wie Buffet 1993 niederschrieb, „der Maler für mich“.(10) Es ist aufschlussreich sich zu vergegenwärtigen, wie präsent das Werk des ehemaligen Kommunarden im Malereidiskurs der Nachkriegszeit war, welch wichtige Rolle ihm gerade zu dem Zeitpunkt, als Buffets Kunst sich auszuformulieren begann, zukam.

1947, das Jahr von Buffets erster Ausstellung, war ein Siedepunkt innerpolitischer Spannungen in Frankreich. Durch den Ausschluss der kommunistischen Partei aus der französischen Regierungsbildung prallten zum ersten Mal die Doktrinen eines sozialistischen Realismus und eines für individualistisch gehaltenen Formalismus völlig ungefedert aufeinander. Beide beriefen sich in erster Instanz auf das Beispiel Courbet. Es war Courbet, dessen großflächige Auffächerung des Bildraums den Kubisten via Cézanne den Weg in die Abstraktion eröffnet hatte, und es war auch Courbet, in dessen Malerei der ästhetische Frontmann der kommunistischen Partei, der Renegat avantgardistischer Libertinage Louis Aragon, den Prototypen einer sozial verantwortlichen Kunst ausmachen konnte. Sein Buch L’Exemple de Courbet von 1952 war in der deutschen Übersetzung von 1956 auch für eine Stabilisierung des sozialistischen Realismus in der DDR verantwortlich gewesen. (11)

Aragons ästhetischer Konservatismus war zwar anfänglich in der Lage gewesen, Buffets Landschaftsmotive in der Tradition von Courbet zu goutieren,(12) was dieser jedoch tatsächlich für sich aus dem Beispiel Courbet abgeleitet hatte, das konnte auf die Dauer weder ihm, als dem Propagandisten eines doktrinären Realismus, noch den Vertretern der Abstraktion schmecken. Buffet nahm in Courbet nämlich in erster Linie den anarchischen Vulgärkünstler wahr, der seine Kritiker mit einer Art taktiler Oberflächenkunst herausgefordert hatte, die sich jeder Festlegung auf ein spezifisches Sujet gegenüber indifferent verhielt und die diese daher nur brüsk als eine billige „Schildermalerei“ zurückweisen konnten.(13)  Der Rohheit dieser Malerei, die mit breiten Spachteln zu Werke ging, entsprach das Künstlerbild eines proletarischen „Meistermalers“, das Courbet entwickelt hatte und das er wie einen Sprengsatz in der von akademischen Hierarchien und prätentiösen Regelwerken bestimmten Kunst des 19. Jahrhunderts montiert hatte.

Nicht nur in diesem bodenständigen und rebellischen Künstlerbild, sondern auch in seinem Willen und in seinem Instinkt, zeitgenössische Populärikonen zu schaffen, ist Buffet seinem Vorbild Courbet in einer Konsequenz nachgefolgt, die in ihrer Radikalität ihresgleichen sucht: Die röhrenden Hirsche und Meerstücke der demokratischen Kunst Courbets, die sich dem Populärgedächtnis in den Ausprägungen fabrikartig gefertigter Kaufhausmalereien eingebrannt haben, wurden als Massenphänomene in den fünfziger Jahren von Buffets traurigen Clowns und trostlosen Eiffeltürmen abgelöst.

Wenig amüsiert über diese äußerst attraktive Populärinterpretation von Courbets Malerei waren auch die Vertreter der formalistischen Erbseite, war vor allem Pablo Picasso. In einem Gespräch mit Jean Cocteau, das im Dezember 1957 stattfand, versuchte er den Dichterfreund, der ein erklärter Buffet-Fan war, händeringend davon zu überzeugen, dass sich hinter dem Künstler möglicherweise ein sympathischer Mensch verberge, dass aber dessen Malerei „null“ sei. (14) Das Verdikt ist in seiner apodiktischen Schärfe bemerkenswert. Wie erklärt sich seine Heftigkeit?

Den Starkult um Buffet und die Anziehung, die sein Werk vor allem auf die jüngere Generation ausübte, hatte Picasso sozusagen am eigenen Leib erfahren müssen, als seine beiden Kinder bei dem jugendlichen Rivalen Autogramme einholen gingen, noch dazu in dessen eigener Anwesenheit. (15) Es wird ihm auch sicherlich nicht schwer gefallen sein, in etlichen Populärmotiven seines Konkurrenten Zerrbilder seiner eigenen Kunst auszumachen. Immerhin hatte er selbst mit miserabilistischen Darstellungen aus der Welt des Zirkus und der Montmartre-Künstlerboheme reüssiert.

Irritierender als diese Erfahrungen muss freilich der Umstand gewesen sein, dass sich dieser sein Nachfolger, als der Buffet bereits von Teilen der Presse gehandelt wurde, dem Malerkrieg um die Eroberung neuer Bildräume verweigerte, den Courbet eröffnet hatte und als dessen Champion der alte Spanier nach einer ganzen Serie progressiver Überbietungen noch immer ungeschlagen in der europäischen Malereiarena dastand. Buffets Bildkonzeption musste ihm als eine Art Regression in einen vorkubistischen Zustand erscheinen, in die flache Domäne der Plakatkunst des Fin de Siècle, von der er selbst ausgegangen war. Graphismen spielen in Picassos Werk zwar ebenfalls eine zentrale Rolle, der entscheidende Unterschied war jedoch, dass für ihn ein Bild das Konstrukt eines dynamischen Vitalismus war, während die Kunst seines jugendlichen Rivalen geradezu in der Absenz eines solch malereiheroischen Wesenszugs lag und damit in Picassos Augen jeder artistischen Essenz entbehren musste. Buffet „führt niemals diesen schrecklichen Kampf wie Picasso“, notierte Cocteau 1957 in sein Tagebuch, „er  stellt vor allem das Duell mit sich selbst dar“. (16)

Dieses Selbstduell, das Cocteau erwähnt hatte, manifestierte sich bildnerisch in der Form einer Erstarrung. Das Courbet’sche Maurerwerk, das die Kubisten geöffnet hatten, hatte Buffet wieder verschlossen und zuzementiert. Nervöse Kratzer durchzogen es nun und schockierende Blitze von Erscheinungen. Was die graffitiartige Motivik anbelangt, so lässt sich wohl kaum ein größerer Kontrast zu der archaisierenden Romantik und dem hitzigen Virilitätskult vorstellen, von denen Picassos Werk durchdrungen ist, als die operettenartigen Charaden und der androgyne Misanthropismus von Buffets kältestarrer Welt.

Auf das Medusenhaupt, das Buffets Kunst dem Publikum entgegenhielt, reagierten die fortschrittseuphorischen fünfziger Jahre mit zunehmendem Argwohn und schließlich mit heftigsten Allergien.

 

 

Toxique

Die Titelgeschichte, die das Nachrichtenmagazin Der Spiegel am 11. Juli 1956 über Bernard Buffet brachte – es war die erste überhaupt, die einem lebenden Künstler gewidmet war –, sollte die Rezeption seines Werks im deutschsprachigen Raum für die kommenden Jahrzehnte bestimmten. Die massiven Vorwürfe, die darin zum Ausdruck kommen, lassen sich auf folgende zwei Hauptnenner bringen: 1. Buffets Kunst sei durch und durch „ungesund“ und 2. völlig unseriös, denn sie basiere auf einer Lüge

Titelbild, Der Spiegel, 11. Juli 1956

Ein toxischer Grundzug wurde bereits in der Überschrift suggeriert: Der Mann mit dem goldenen Arm spielte zum einen auf Otto Premingers neurotisches Beziehungsdrama um einen heroinsüchtigen Jazzmusiker an, das kurz zuvor Deutschlandpremiere hatte, und zum anderen auf die profitable Produktion des Malers, die, wie der Zusatz „2000 Bilder in zehn Jahren“ sich anzuzeigen beeilte, eine gänzlich ungesunde Überproduktion sei. An dieser werde, so wird ein ungenannter Händler im Beitrag zitiert, der Marktwert des Künstlers wahrscheinlich bald zu Bruch gehen. Unterstrichen wurde der Eindruck des Ungesunden durch die Wahl des Titelbildes, das ein Selbstbild des Künstlers im Zustand extremsten Angewidertseins zeigte, sowie durch eine Vielzahl von Beobachtungen über die psychophysische Konstitution des Malers, die im Beitrag eingestreut waren. Von seinem unsportlichen Wesen ist da die Rede, seiner „krankhaften Empfindlichkeit“, seinen „nervösen Bewegungen“, seinen „langen, nikotinvergilbten Fingern“, dem „giftigen Aquarium seines Zimmers“, dem „durch Wohlleben leicht aufgeschwemmten Gesicht“ und auch eine „beginnende Fettleibigkeit“ wurde diagnostiziert.

Mitte der fünfziger Jahre war eine Art Hexenjagd gegen modische „Pseudo-Existentialisten“ in Fahrt gekommen. Sartre hatte sie mit initiiert. Der Philosoph, der durch die Begründung eines Nachtclubs und durch die Abfassung von Chansontexten anfänglich selbst für die Etablierung einer existentialistischen Lifestyle-Bewegung verantwortlich gewesen ist, hatte mehr und mehr seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Reinheit seiner Lehre einem „Snobismus“ zum Opfer gefallen sei. Der Maler Buffet mit seinem „parfümierten Freundeskreis“ (17)  war das erste Angriffsziel dieser Kampagne, die Schriftstellerin Françoise Sagan, die in ihren Büchern die emotionale Befindlichkeit der Reichen thematisierte, folgte ihm nach. Die „wahre Hetzjagd“, die Buffets Freund Georges Simenon gegen den vermögenden Künstler am Werk sah, (18) wurde durch einen Beitrag von Paris Match in der Ausgabe vom 4. Februar 1956 ins Rollen gebracht. Der war zwar in seinen Beurteilungen weit weniger tendenziös gehalten, gab jedoch in vielen Teilen bereits die detailgenaue Vorlage für den Artikel des Spiegel ab: In weitschweifigen Beschreibungen wird darin das Luxusleben beschrieben, das der dandyhafte „Elendsmaler“ führe, mit „komfortablen Herrensitz“, mit Manager, mit Chauffeur und Rolls-Royce.

Bernard Buffet, La Rolls, 1956

Die motivische Indifferenz, die sich die lebende Malmaschine Buffet leistete, war für die zeitgenössische Kritik schlichtweg nicht fassbar. War es Naivität, Zynismus, Aggression, Spleen ? – so die ratlose Überschrift einer zeitgenössischen Kritik, die mit dem Umstand zu kämpfen hatte, dass Buffets misanthropische Hungergestalten zu Mitte der fünfziger Jahre gleichzeitig am Stand von Saint-Tropez flanierten und als Personal psychedelischer Kriegs- und Passionsbilder fungierten. Futuristischer Jetset und erinnerungsbelastete Nachkriegsmisere, Prêt-à-porter und Golgatha, Sartre und Saint-Tropez: Buffet brachte die Antipoden der fünfziger Jahre an einen Tisch und schob sie zusammen in ein gemeinsames Bild.

La plage, 1956

Die Presse hob jedenfalls auf den fundamentalen Widerspruch ab, den sie zwischen dem Elend und der Trostlosigkeit klaffen sah, das seine Kunst repräsentierte und seinem Leben in Luxus, über dessen schamlose Zurschaustellung sie sich mokierte. Nicht authentisch sei eine solche Kunst und daher völlig substanzlos, so lautete das Fazit des Spiegel-Beitrags: „Dieses Buffet“ sei „ein Geldschrank“ und wenn man es öffne, so zeige sich „gähnende Leere“.

Das Porträt seines Rolls-Royce, das Buffet im Jahr der gegen ihn einsetzenden Kampagne verfertigt hatte, war ein gefundenes Fressen für die Presse, schien es doch auf ideale Weise die dandyhafte Verkommenheit des „Pseudo-Existentialisten“ so wie auch die Oberflächlichkeit seiner Kunst ikonografisch zu belegen. Der Künstler hatte sich die Luxuskarosse, mit der er „seine wattierten Traumfahrten durch die Ödlandschaft der Haute-Provence“ unternahm, zugelegt weil, wie es hieß, „die strenge Linienführung des Vehikels seinem Stilempfinden“ zusagte.  Das Gemälde La Rolls wurde zur viel reproduzierten Ikarus-Ikone vom Absturz eines hochmütigen Jungkünstlers, der Göttern wie Sartre und Picasso einwohnen wollte.

Die Koinzidenz ist bemerkenswert: Im gleichen Jahr, als sich in esoterischen Zirkeln erste Äußerungen einer neuen Kunstrichtung zu regen begannen, die sich der Wirklichkeit einer neuen Konsumwelt verschrieben hatte,   stand ein Gemälde am Pranger der Medien, das die Frechheit besaß, einen Warenfetisch zum lapidaren Bildgegenstand zu haben.
Die Annäherung, die Mitte der fünfziger Jahre zwischen Buffets Kunst und der Welt der Werbung und des Modedesigns stattfand, war beidseitig: Buffet griff immer mehr solche Themen auf, und die Designer ließen sich immer mehr von seinem rasanten Strich inspirieren. Eine Historisierung von Pop Art der fünfziger und sechziger Jahre, die dieses frühe Phänomen einer populären Fusionierung von Malerei und Lifestyle-Design ignoriert, muss mangelhaft bleiben.

Bernard Buffet, Mao Tsé-Toung,  1964

Der Spiegel, 1963                                                   Time, 1958

Die Anfänge der Pop Art fielen in eine Zeit, in der erstmals nach den beiden Weltkriegen die
Verwerfungen eines lange schwelenden Generationskonflikts zu Tage traten. Die Angriffe gegen einen modischen Existentialismus der Saint-Germain-Jugendkultur waren ein Teil dieses Konflikts, in dem der patronisierende Moralismus der frühen Nachkriegsjahre auf einen sich Luft schaffenden konsumbegierigen Lebenshunger geprallt war. Diese Revolte zu Mitte der fünfziger Jahre war material dynamisch, aber psychisch implosiv. Der Aggressionsstau, der die Malerei Buffets von Anfang an gekennzeichnet hatte, bekam nun plötzlich ein Gesicht und eine Projektionsfläche in dem renitenten Gebaren von Idolen wie Marlon Brando und James Dean.

In Deutschland-Ost wie Deutschland-West war das kulturelle Klima durch eine nahezu geschlossene Medienfront gegen so genannte „Jugend verderbende Schmutz- und Schundliteratur“ bestimmt, mittels derer man auch auf die Welle der Halbstarkenkrawalle zu reagieren versuchte, die 1956 losgebrochen war. Die Medienattacke gegen Buffet spielte in ihrer Ausrichtung in diese eisige Kampagne gegen jugendkulturelle Negativvorbilder hinein und der Verdacht, dass seine Kunst eine Provenienz in der amerikanischen Trivialkultur haben könnte, war im Grunde ein verheerender. Suggeriert wurde er beispielsweise durch die Beobachtung, dass der Künstler, der, wie der Spiegel-Artikel nicht zu erwähnen vergisst, über keine höhere Schulbildung verfüge und in den „Stunden der Entspannung Kriminalromane“ lese oder „mit kindhaft verträumtem Lächeln in Comic-Strips-Heften“ blättere.

Im ostdeutschen Arbeiter- und Bauernstaat, der noch nicht durch einen Schutzwall vor luziden Fremdeinflüssen abgesichert war, fiel die Warnung vor einem negativen Einfluss, den die „gefährliche Faszinationskraft“ des Künstlers Buffet, auf die Jugend habe, noch viel expliziter aus. Der Autor eines Beitrags über „Miserabilismus“ in der Dresdener Kulturzeitschrift Bildende Kunst von 1958 sah den „Welt – und Menschenverachtung“ transportierenden „Bazillus“ von Buffets Kunst schon im Bruderland Polen und auch in Ostberlin unterwegs und war sich gewiss, „dass versteckte Buffetleins in der Deutschen Demokratischen Republik auch noch an anderen Orten zu finden sind, aber ich glaube nicht, dass sie blühen und gedeihen werden, denn unser Klima ist ihnen nicht günstig!“ (21)

Hier waren sie also bereits am Werk, die halluzinogenen Blumen des Bösen, der morbide pandämonische Geist eines Lautréamont,(22)  den ein republikflüchtiger junger Künstler wenige Jahre später im Westen suchen sollte, allerdings nicht in der durchsichtigen Verpackung einer Art Brut, sondern im verstörenden Dekor vom Fünfziger-Jahre-Design.

Bernard Buffet, Le Chants de Maldoror, Zeichnung (MePri-Collection)

Bernard Buffet, Le Chants de Maldoror, Kaltnadelradierungen, 1952

 

Obscure

1961, als die Vertreibung des reichen Elendsmalers aus dem Pantheon französischer Kultur in vollem Gange war, goss Buffet erneut Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker und lieferte die bildhaften Belege dafür, dass die Redakteure des Spiegel mit ihrem Verdacht auf Comic-Nähe so falsch nicht lagen. In den Illustrationen, die er für Pierre Daninos’ Un certain Monsieur Blot eine satirische Betrachtung französischer Lebensart, lieferte, ließ er außerdem keinen Zweifel daran, dass er selbst mit der Verortung seiner Kunst in den Niederungen einer Alltagskultur kein Problem hatte. Es handelte sich um eine Reihe von Zeichnungen, in denen er all die prekären Lifestyle-Motive seiner Kunst, u.a. den berühmten La Rolls, in der Form eines selbstparodistischen Comic-Remix servierte.

Bernard Buffet, Illustrationen zu Pierre Daninos, Un certain Monsieur Blot, Paris 1961

Auch dieser Werkschritt geschah taktgenau mit einem vergleichbaren Moment in der Entwicklung der Pop-Avantgarden, die sich als erkennbare Formationen gerade erst herauszubilden begannen. Zeitgleich und unabhängig voneinander unternahmen nämlich Roy Lichtenstein und Andy Warhol erste malerische Versuche, die Bildwelt des Comic zu approprieren.

Dass die Engführung von Buffet-Stil und Comic-Form, die in den Monsieur Blot-Zeichnungen unternommen wird, auf verblüffend einleuchtende Weise funktionierte,
verdankt sich zum einen der Tatsache, dass sich Buffets Linearstil aus ganz verwandten Kombinationen im Register des weit verzweigten Bildreservoirs des 19. Jahrhunderts ableitet, wie die Tradition der „bandes dessinés“. Hinzu kommt, dass er tatsächlich der erste namhafte Künstler der Nachkriegszeit gewesen zu sein scheint, der ein wirkliches Sensorium für die Entwicklungen im Feld der zeitgenössischen Gebrauchsgrafik entwickelt hatte.(23)

Sarah Wilson macht in ihrer Betrachtung französischer Nachkriegskunst einen „epistemologischen Bruch“ zu Mitte der fünfziger Jahre aus, der in einem einsetzenden Zusammenfall von „high“ und „low“ liege. (24) Tatsächlich fand eine erste  einflussreiche Verschmelzung bereits etliche Jahre früher im Werk des Jungkünstlers Buffet statt, das wie ein futuristischer Succubus im Corpus der existentialistischen Kunst eingelagert war.

Sein spinnwebartiger Linearstil der frühen Nachkriegszeit setzte 1946 zeitgleich mit der Entwicklung der so genannten „ligne claire“ in der belgischen Comic-Schule durch Hergé und André Franquin ein. Im gleichen Jahr erschien auch Saul Steinbergs Publikation All in line, die bahnbrechend für das geometrisierende Cartooning der fünfziger Jahre werden sollte. Die Entwicklung von Buffets elektrischem Graffitismus verlief parallel dazu. Er empfing Impulse aus der Illustrationsgrafik und leitete wiederum Einflüsse dorthin ab.

Die Stärke von Buffets Anschauung der Linie ist jedoch, dass sie keine genuin zeichnerische ist, sondern dass sie sich aus der Arbeit am materialen Gefüge des Bildes ergibt. Ein Moment von Anspannung und von Verletzung spielt dabei eine Rolle. Die hypnotische Wirkung, die seine Kunst damals vor allem auf jugendliche Betrachter ausübte, resultierte sicherlich nicht zu einem geringen Teil aus der Tatsache, dass sie kathartisch funktionieren konnte wie ein Spannungsableiter und damit auch wie Bebop und Rock ’n’ Roll integraler Bestandteil einer Jugendbewegung sein konnte. Buffet war ein Exstatiker des Lineaments. In seinem Strich fusionierte der kalligrafische Orientalismus der französischen Moderne, der damals in den abstrakten Action-Graffitis eines Georges Mathieu einen Siedepunkt erreicht hatte, mit dem hieratischen Expressionismus eines Rouault und Manessier und der „ligne claire“ der zeitgenössischen Illustrationsgrafik.

Bernard Buffet, Siemes-Report, Offset 1968 (MePri-Collection)

 

Nacht

Hatte die konzertierte Pressekampagne zu Mitte der fünfziger Jahre Buffets Reputation bereits nahezu vollständig ruiniert, so blieb es André Malraux, einem gestandenen Existentialisten der allerersten Stunde und engem Freund Picassos, überlassen, als Scharfrichter in letzter Instanz zu fungieren. In seiner Eigenschaft als Staatsminister für kulturelle Angelegenheiten sorgte er von 1959 an dafür, dass sich der Mantel des Schweigens über den Fall Buffet legte. Der Name Buffet war im Pariser Kulturleben fortan obsolet, tabu.

Er habe, so der trotzige Kommentar des Künstlers, die Verachtung, die ihm entgegengeschlagen sei, wie ein Geschenk angenommen, da sie ihm weitere Freiräume ermögliche. 1964 begann er an einer Reihe monumentaler Insektenplastiken mit haptischen Farbverläufen zu arbeiten, die als ein kühner Vorgriff auf die Malereiskulptur der achtziger Jahre gewertet werden kann. Die Gemäldeserie Les Ecorchés (Die Gehäuteten), die im gleichen Jahr entstanden ist, ließ auch transparent werden, wie tief  die Spuren der  Verletzungen, welche die permanenten Attacken gegen ihn verursacht hatten, wirklich waren. Mit diesen Bildern überschritt er jeden Schmerzpegel, der für eine Art Brut bis dato angezeigt war. Das war der erbarmungslose Sound von Grindcore zu Zeiten des „Swinging London“.

Bernard Buffet, Les énchorches, 1964

Die künstlerische Unternehmung der thematischen Zyklen, die in seinem Werk bereits Anfang der fünfziger Jahre eingesetzt hatte, kam mit seiner Verbannung aus dem System „Kunst“ Ende der fünfziger Jahre erst richtig in Fahrt, und sie glich einer uferlosen Nachtreise durch ein zerschossenes, inkohärentes Weltgedächtnis. In ihrem monumentalen kaleidoskopartigen Zuschnitt lässt sie im 20. Jahrhundert nur Vergleiche in der Literatur zu, am ehesten vielleicht mit Ezra Pounds schroffen idiosynkratischen Cantos.  In der Bildkunst des 19. Jahrhunderts konnte Buffet sich allerdings auf einen Vorläufer berufen, der innerhalb eines von düsterstem Pessimismus getragenen pantografischen Mammutprojektes mit seinem Zeichenstift alle möglichen Regionen durchstreift hatte, von bizarrster Phantastik bis hin zu sozialrealistischen Elendsreportagen. Es handelt sich um Gustave Doré, der mit der teilweisen Realisierung seines Vorhabens, einer Illustrierung des Kanons der Weltliteratur, ein Ausmaß an internationaler Popularität erreicht hatte, das später nur von Walt Disney eingeholt werden konnte.

Bernard Buffet, Le combat avec le requin, 1989

Dorés zunehmender Einfluss auf Buffets enzyklopädische Werkkonzeption ist ab den sechziger Jahren in der Auswahl einer ganzen Reihe mythologischer Themenzyklen evident. Der verfemte Buffet konnte in Dorés Schicksal auch sein eigenes gespiegelt finden. Denn dieser war an der breiten Front der Kritik, auf die seine Bemühungen, als Künstler Anerkennung zu finden, gestoßen war, menschlich zerbrochen. Die Vorwürfe, die die Anti-Doré-Kampagne damals in Stellung gebracht hatte, wurden von dem Karikaturisten André Gill ins Bild gesetzt ¬– und sie gleichen denen, die gegen Buffet vorgebracht wurden, aufs Haar: inflationäre, maschinenartige Kunstproduktion und schamlose Akkumulation von Reichtum, symbolisiert durch fliegende Geldsäcke, die den Kopf des Künstlers umschwirren.

Auch der Vorwurf der Verunreinigung von genuin bildnerischen Kategorien durch wesensfremde narrative Elemente, der von Kritikern wie Cézanne und Zola gegen die Malereien von Doré erhoben wurde, überschneidet sich mit Kritiken, denen die Kunst Buffets ausgesetzt war, obgleich sich dessen bildnerischer Zugriff wesentlich von dem Dorés unterscheidet. Es handelte sich beim Fall Doré im Grunde um den ersten großen Betriebsunfall der Kunst der Moderne, der in einem unauflösbaren und sich verschärfenden Konflikt zwischen einer auf Facettenreichtum und Heterogenität fußenden Populärkultur und einer auf Trennschärfe und Exklusivität abzielenden Avantgarde bestand. Doré war das erste prominente Opfer dieser zunehmenden Bifurkation von High und Low, Buffet ihr zweites.


Null und nicht Null

Als es 1959 in einer Retrospektive der Tate Gallery darum ging, dem britischen Publikum die Malereien des vergessenen Francis Gruber nahe zu bringen, war Buffets Name noch gut genug gewesen, um mit einem Verweis auf den Einfluss, den Gruber auf ihn hatte, zu werben. (25)  In der Ausstellung, die Johannes Gachnang dann achtzehn Jahre später für Gruber in der Kunsthalle Bern ausrichtete, fehlte jeder Hinweis auf den populären Schüler. Ebenso als derselbe Kurator 1989 die Malereien Grubers im Zusammenhang mit einer Skulptur Giacomettis in der großen Malereishow Bilderstreit präsentierte, die den diffusen Ausklang der malerheroischen Welle der achtziger Jahre markierte.

Dabei wäre es aufschlussreich gewesen, Buffet gerade in diesem Kontext, der genealogisch vor allem auf die Vermittlung neoexpressionistischer Künstlerpositionen der Galerie Michael Werner zugeschnitten war, wieder zurück in den Diskurs zeitgenössischer Malerei zu holen. Immerhin hatte sich diese nachfolgende Malergeneration in ihren Zielsetzungen zum Teil sehr detailgenau an das Karrierebild vom Aufstieg des renitenten Jungstars zum malerfürstlichen Gutsherren gehalten, das Buffet mit einem ausgesprochenen Selbstbewusstsein vorgelebt hatte und für das er von der Kritik gesteinigt worden war.

Und auch in konzeptueller Hinsicht stand sie der Kunst Buffets viel näher als der eines Gruber oder eines Giacometti. War doch eines ihrer zentralen Themen, der Bruch des inneren Zusammenhangs zwischen Bildmotiv und Faktur, bereits in der Malerei von Buffet vorgeprägt. Die verknappte ikonografische Anlage und das materiale Feld einer nervös verkratzten Textur entfernen sich in seinem Werk immer weiter voneinander und begegnen sich im Spätwerk schließlich als autonome Elemente.

Bernard Buffet, Jeux d´enfants, 1998

Dass die Feme gegen Buffet auch in den achtziger Jahren noch wirksam war, darüber gibt der Beitrag von Heinz Peter Schwerfel im Hamburger Kunstmagazin Art vom April 1983 Aufschluss. Unter dem TitelDas feine Elend des Bernard Buffet verbarg sich über weite Strecken nichts anderes als eine Replik des Spiegel-Covers von 1956, auf das er sich auch explizit bezog. Zwar war man in den Ateliers jüngerer Malergruppierungen wie der Kölner Mühlheimer Freiheit mittlerweile auf die indizierten Früchte des Exkommunizierten neugierig geworden und ließ sich davon inspirieren. Im Lager der etablierteren Exponenten gestisch-figurativer Malerei und ihrer Kuratoren gab es allerdings kein spürbares Interesse daran, es in punkto Buffet auf eine Verifizierung alter Vorurteile ankommen zulassen; und zwar mit einigem Grund: Es war nämlich der Verdrängung der einst so mächtigen und populären Position Buffets mit ihrer starken Verwurzelung in den Domänen der Trivialkultur geschuldet, dass zu Mitte der sechziger Jahre wieder ein Brachland im vagen Grenzbereich von Subkultur und figurativ-expressiver Malerei entstand und damit der Gestaltungsraum frei war, den diese nachfolgende Malergeneration benötigt hatte, um zur Entfaltung der künstlerischen Standpunkte zu kommen, mit denen sie sich durch die Großausstellungen der achtziger Jahre in die Annalen der Kunstgeschichte eingeschrieben hatte.

Die Tatsache, dass die genealogische Verbindung zwischen Gruber und seinem Schüler Buffet zu Mitte der siebziger Jahre nachhaltig gekappt worden ist und damit auch die Erinnerung an eine „miserabilistische“ Schule der französischen Nachkriegsmalerei eliminiert worden war, steht in direkter Verbindung mit diesem Prozess einer territorialen Neubestellung. Wie den Nachschriften Gachnangs zur Bilderstreit-Ausstellung zu entnehmen ist, war es bereits 1976 in der Berner Retrospektive von Francis Gruber um die Installation einer neuen Erbfolge gegangen. Die Ausstellung hatte dieser nämlich – das war dem Katalog dazu nicht explizit zu entnehmen – seinem Freund, dem sächsischen Maler Georg Baselitz gewidmet, „der sich schon sehr früh für den Lothringer als den deutschesten der französischen Maler interessierte und mir im Berlin der frühen sechziger Jahren von diesen Möglichkeiten, Bilder zu schaffen, berichtete“. (26) Nicht nur in bildtechnischer Hinsicht war der neue Erbe bemüht, in die Fußstapfen dieser Tradition zu treten, sondern auch in dem Versuch, mediale Spannung zu erzeugen, indem er die Inszenierung von Malerherrschaftlichkeit mit der Einforderung genuin miserabilistischer Qualifikationen kurzzuschließen suchte.(27)

Ob die riskante Bildwelt des nullifizierten Bernard Buffet für die Werkzeuge einer achtziger Jahre Malereikritik überhaupt greifbar gewesen wäre, ist allerdings zweifelhaft. Noch immer geht eine vitale Beunruhigung von den abgründigen Paradoxien im Werk des Künstlers aus, der für Picasso die Null und für Warhol die Nummer Eins der französischen Malerei gewesen ist. Seine heißkalte Temperatur liegt genauso weit von einer archaisierenden Malerhitze wie von einer überlegenen Coolness popkultureller Abbildungsrhetorik entfernt. Auch die Unterstellung einer doppelbödigen postmodernen Bildstrategie muss an der schieren Drastik und Lakonie einer Kunst zerschellen, die  im Zusammenfall von  extremster Verletzlichkeit und Selbstbehauptung ein fühlbares Bild erzeugt hat von unglaublicher Gegenwart.

Dieser Essay  wurde zuerst veröffentlicht in dem Katalobuch “Bernard Buffet. Maler. Painter. Peintre”, hrsg.Udo Kittelmann u. Dorothee Brill, Frankfurt-Köln 2008

Redaktion: Dorothée Brill, Klaus Görner, Andreas Bee

Mit besonderem Dank an Ursula Walbröl

 

Anmerkungen

1 Maurice Druon, Bernard Buffet, Paris: Hachette, 1964.

2  Juri Steiner, New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris zwischen Second Empire und 1968, Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, 2003, S. 83.

3  Vgl. Gabriel P. Weisberg (ed.), Montmartre and the Making of Mass Culture, New Brunswick/N.J.: Rutgers University Press, 2001.

4  Vgl. Anm. 2.

5  Pierre Descargues, Bernard Buffet, Ausstellungskatalog, Paris: Librarie des Impressions d’Art, 1947.

6  Vgl.: Harriet Weber-Schäfer, Die Kontroverse um Abstraktion und Figuration in der französischen Malerei nach dem zweiten Weltkrieg, Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Köln, 1997, S. 115 ff.

7  Alberto Giacometti, „A propos de Jacques Callot“, in: Labyrinthe, Genf und Paris, 1945.

8  n.n., „Buffet: Elend in Öl“, in: Der Spiegel, 11. Juli 1956, S. 33.

9 Jean-Paul Sartre, „La recherche de l’absolu“, in: Exhibition of Sculptures, Paintings, Drawings, Ausstellungskatalog, New York: Pierre Matisse Gallery, 1948.

10 Bernard Buffet, in: Bonjour Monsieur Buffet!, Ausstellungskatalog, Ornans: Musée Courbet, 1993. Bernard Buffet führt hier des Weiteren aus, dass Courbets Gemälde La remise aux chevreuils und L’atelier du peintre für ihn bereits seit 1945 den Höhepunkt der Malerei darstellen.

11 Louis Aragon, Das Beispiel Courbet, Dresden: Verlag der Kunst, 1956.

12 Louis Aragon, „Le paysage a quatre siècles et Bernard Buffet 24 ans“, in: Les Lettres Françaises, Nr. 453, 1953, S. 8-9. Der zweite Teil von Aragons Text erschien in der nachfolgenden Ausgabe von Les Lettres Françaises.

13 Michael Nungesser, „Die Steinklopfer im Spiegel der Kritik“, in: Klaus Herding (ed.), Realismus als Widerspruch: Die Wirklichkeit in Courbets Malerei, Frankfurt: Suhrkamp, 1978, S. 177 ff.

14 Jean Cocteau, Le Passé Défini, Bd. V, 1956-1957, Paris: Gallimard, 2006.

15 Jean-Claude Lamy, Bernard Buffet – Le Samourai, Paris: Albin Michel, 2008, S. 152.

16 Jean Cocteau, Poésie Critique I, Paris: Gallimard, 1959, S. 262-265.

17 Vgl. Anm. 8, S. 34.

18 Georges Simenon, Als ich alt war, Zürich: Diogenes, 1977, S. 122.

19 Vgl. Anm. 8, S. 34.

20 1956 ist das Jahr von Richard Hamiltons legendärem Ausstellungsdebüt in der Whitechapel Art Gallery in London. Es ist auch das Jahr, in dem sich Andy Warhol an ersten Zeichnungen zu Konsumartikeln versucht.

21  Heinrich Burkhardt, „Der Miserabilismus“, in: Bildende Kunst, Nr. 6, Dresden 1958.

22 Der Miserabilismus-Beitrag in Bildende Kunst war u.a. mit einer Abbildung aus Buffets Foliowerk zu Lautreamonts Le Chants de Maldoror von 1952 versehen. Die luziden Kaltnadelradierungen zählen zum Besten, was die Druckgrafik des 20. Jahrhunderts zu bieten hat.

23 Die Einflüsse aus der amerikanischen Illustrationsgrafik, die sich im solitären Werk von Jean Helion finden, wurden von ihm nach seiner Rückkehr aus dem New Yorker Exil im Jahr 1945 nicht mehr wirklich weiterverfolgt und entwickelt.

24 Sarah Wilson, „In search of the absolute“, in: Frances Morris (ed.), Paris Post War, Art And Existentialism 1945-55, Ausstellungskatalog, London: Tate Modern, 1993, S. 47.

25 René Huyghe, „Introduction to Francis Gruber“, in: Francis Gruber 1912-1948, Ausstellungskatalog, London: The Arts Council of Great Britian, 1959.

26  Johannes Gachnang, Im Bilderstreit. Vorträge und Aufsätze zur zeitgenössischen Kunst, Wien: Sonderzahl, 1993, S. 57

27 Georg Baselitz, „Ich bin elend, kotzig, miserabel“, in: Stern, Ausgabe vom 20.11.2007

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